Tatort Ausland
Worum geht es?
Wird eine Frau auf der Flucht in die Schweiz vergewaltigt, wird eine Frau im Ausland Opfer von Menschenhandel, hat eine trans Frau im Herkunftsland regelmässig Gewalt und Verfolgung erlebt: Sie alle erhalten in der Schweiz als Gewaltbetroffene keine Unterstützung der Opferhilfe.
Die Opferhilfe finanziert faktisch die gesamte spezialisierte Unterstützung bei Gewalt wie Beratungen bei Fachstellen, Rechtsberatungen, psychologische Begleitungen u.a. Die heutige Gesetzeslage schliesst jedoch Menschen, die Gewalt im Ausland erlebt haben und beim Zeitpunkt der Tat keinen Wohnsitz in der Schweiz hatten von der Opferhilfe aus. All diese Personen sind auf sich alleingestellt im Umgang mit den oft traumatisierenden Gewaltfolgen.
Wie ein 2022 erschienenes Rechtsgutachten im Auftrag des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung klarstellt, widerspricht diese Einschränkung des Opferschutzes dem Artikel 4 (Diskriminierungsverbot) der Istanbul-Konvention. Ebenso steht sie in Konflikt mit Artikel 12 der Europäischen Konvention gegen Menschenhandel. Die Schweiz verhindert also aktuell, dass Gewaltopfer zu ihrem Recht auf Unterstützung kommen, welches ihnen nach internationalen Verpflichtungen der Schweiz zustehen würde.
Brava und die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) haben zusammen mit über 100 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, kirchlichen Institutionen und Parteien 2019 einen Appell an die Bundesrätin Karin Keller-Sutter, das SEM und die SODK gerichtet, um die dringend benötigte Unterstützung einzufordern – jedoch ohne Erfolg. Nun endlich scheint es vorwärts zu gehen mit diesem langjährigen Anliegen von Fachstellen für Gewaltbetroffene.
Aktuell
Mitte August 2022 hat die Rechtskommission des Nationalrats eine entsprechende Kommissionsinitiative gutgeheissen. Brava ist erfreut über diese Entwicklung: Es ist höchste Zeit, dass das Opferhilfegesetz ergänzt wird, damit Gewaltbetroffene mit «Tatort Ausland» Zugang zu Unterstützungsleistungen erhalten.
Die Rechtskommission des Ständerats spricht sich am 15. August 2023 gegen Hilfe für Gewaltbetroffene mit Tatort Ausland aus. Das ist unhaltbar! Betroffene von weiblicher Genitalbeschneidung oder Vergewaltigung auf der Flucht (u.a.) sollen weiterhin nicht die spezialisierte Unterstützung von der Opferhilfe erhalten, die sie benötigen. Wir zählen darauf, dass die Nationalrät_innen hier dranbleiben, weiterhin an einer Lösung dieses realen Problems arbeiten und dies in die Räte einbringen!
Update 23. Februar 2024: Wir sind erleichtert – Die Rechtskommission des Nationalrats behält das Geschäft im Rennen und hält an einer Änderung des Opferhilfegesetzes fest!
Update 27. Mai 2024: Good News: Der Nationalrat hält an einer Änderung des Opferhilfegesetzes fest, nun hat die Rechtskommission des Ständerats die Chance, den Fehlentscheid von letztem Sommer zu korrigieren – diese Lücke im Opferhilfegesetz muss geschlossen werden!