Erst der Anfang
Feministische Errungenschaften im Sexualstrafrecht - Eine gemeinsame Erklärung: Der Ständerat sagt heute ja zu einer «Nein heisst Nein»-Lösung und inkludiert Schockstarre, eine geschlechtsneutrale Definition von Vergewaltigung und Arbeit mit Tatpersonen in der Reform.
Seit vier Jahren kämpft die feministische Bewegung für ein zeitgemässes Sexualstrafrecht. Unsere Hauptforderung: ein Gesetz, das unsere sexuelle Selbstbestimmung effektiv schützt. Der Einsatz hat sich gelohnt! Aktuell liegt ein Gesetzesentwurf vor, der drei enorme Verbesserungen gegenüber der aktuellen Situation beinhaltet:
Erstens sollen Zwang und Gewalt keine Voraussetzungen mehr sein für das Anerkennen einer Vergewaltigung. In Zukunft müssen Opfer Sexualisierter Gewalt also nicht mehr de facto nachweisen, dass sie sich gegen einen Übergriff gewehrt haben. Die explizite oder implizite, verbale und nonverbale Ablehnung soll reichen, um den Vergewaltigungstatbestand zu erfüllen. Folglich fallen Schockstarren1 darunter.
Zweitens soll die Vergewaltigungsdefinition geschlechtsneutral formuliert werden, sodass in Zukunft Personen unabhängig ihres Geschlechts Vergewaltigungen anzeigen können.
Und drittens soll es gemäss Gesetzentwurf möglich sein, dass Tatpersonen Sexualisierter Gewalt zusätzlich zur Strafe Lernprogramme und Gewaltberatungen besuchen müssen.
Diese drei massiven Verbesserungen sind unsere Errungenschaften. Sie sind dem unermüdlichen und jahrelangen Einsatz von unzähligen Aktivist:innen, Fachpersonen und Betroffenen zu verdanken. Die nun vorliegende Revision des Sexualstrafrechts stellt im Vergleich zum Status Quo einen historischen Fortschritt dar. Deshalb unterstützen wir diese Revision und rufen das Parlament dazu auf, sie zu verabschieden.
Ja, wir wollen noch einen Schritt weitergehen und den selbstverständlichen Grundsatz «Nur Ja heisst Ja» im Gesetz verankern. Mit dem erneuten Entscheid des Ständerats für eine «Nein heisst Nein»-Formulierung können wir unser ursprüngliches Ziel in dieser Revision aber nicht mehr erreichen. Da die Formulierung des Ständerats Schockstarren explizit als Form der Ablehnung anerkannt hat, sind de facto jedoch kaum noch juristische Unterschiede zu einer «Nur Ja heisst Ja»-Formulierung auszumachen. Mit der Einführung der Täter:innenarbeit verpflichtet sich das Parlament zudem, einen Schritt weiter zu gehen und Sexualisierte Gewalt auch präventiv anzugehen.
Aus all diesen Gründen unterstützen wir die vorliegende Revision. Unsere Botschaft an die Bevölkerung bleibt die gleiche: Sex braucht immer die Zustimmung aller Beteiligten. Alles andere ist Gewalt.
Wir wollen daran erinnern: die Neudefinition von Vergewaltigung allein kann Sexualisierter Gewalt kein Ende setzen. Gewaltbekämpfung muss immer auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig stattfinden. In den letzten Jahren konnten wir im Bereich der Prävention und bei den Schutzmassnahmen für Betroffene wichtige Erfolge feiern: Zukünftig wird es regelmässige nationale Präventionskampagnen gegen Geschlechtsbezogene, Häusliche und Sexualisierte Gewalt geben und für Gewaltbetroffene wird schweizweit ein 24hBeratungsangebot aufgebaut. Unsere Forderung nach der Einrichtung von schweizweiten spezialisierten Krisenzentren für Gewaltbetroffene ist mehrheitsfähig.
Das war erst der Anfang! Aufbauend auf dieser Revision können wir den Kampf für „Nur Ja heisst Ja“ in Zukunft weiterführen. Zudem hat für uns die Umsetzung der IstanbulKonvention weiterhin politische Priorität, dazu gehört auch eine opfergerechte und traumasensible Strafverfolgung plus eine nachhaltige Finanzierung von Opferberatungsstellen und Schutzunterkünften. Wir fordern einen inklusiven, umfassenden und effektiven Gewaltschutz und kämpfen weiter für eine Gesellschaft frei von Geschlechtsbezogener, Häuslicher und Sexualisierter Gewalt. Bis wir alle frei und sicher sind.
Danke an alle Aktivist:innen, Betroffenen, NGOs und Politiker:innen für ihren Einsatz.
Erstunterzeichnende
Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt
Anna-Béatrice Schmaltz, Expertin Prävention geschlechtsspezifische Gewalt
cfd Lisa Mazzone, Ständerätin GRÜNE
Morena Diaz, Aktivistin und Content Creator
Noëmi Grütter, Frauenrechtsexpertin und Menschenrechtsaktivistin
Sim Eggler, Verantwortlich_ Politik
Brava Tamara Funiciello, Nationalrätin SP und Co-Präsidentin SP Frauen Schweiz
Unterzeichnende Fachorganisationen und Fachstellen zu Gewalt
Beratungsstelle kokon (Opferhilfe und Krisenberatung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene)
BIF Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft
Brava (ehemals TERRE DES FEMMES Schweiz) cfd - Die feministische Friedensorganisation
Fachverband Gewaltberatung Schweiz FVGS FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration
Frauenberatung Sexuelle Gewalt Zürich
Frauenhaus und Beratungsstelle Zürcher Oberland
Frauenhaus St. Gallen
Puntozero Associazione
Solidarité Femmes Biel/Bienne & Region
Solidarité Femmes Fribourg – Centre LAVI
Stiftung Frauenhaus Zürich
Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern (Opferhilfeberatungsstellen Lantana und Vista plus Frauenhäusern Bern und Thun-Berner Oberland)
Stiftung Opferhilfe Bern
Verein Beratungsstelle Frauen-Nottelefon
Weitere unterzeichnende Kollektive und Organisationen
Anthrosocial
Appel d'elles
Campax
Collectivo Io lotto ogni giorno
Evangelische Frauen Schweiz
Feministisches Streikkollektiv Zürich
Feministisches Streikkollektiv Bern
FemWiss
Frauen* für den Frieden
frbb – frauenrechte beider basel
FriedensFrauen Weltweit
humanrights.ch
INSOS
Lesbenorganisation Schweiz LOS
Marche Mondiale des Femmes Suisse
NCBI Schweiz
Schweizerischer Verband für Frauenrechte SVF
Sexuelle Gesundheit Schweiz
SP Frauen Schweiz
Syndicom
Transgender Network Switzerland TGNS
Women’s March Zürich
YOUVITA