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Bildung

«Vertrauen schaffen»

Fatma Leblebici arbeitet seit 2018 bei Brava und hat selbst erlebt, wie es ist, auf der Flucht zu sein. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen, die Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen und die Bedeutung einer eigenen Stimme.

Brava: Du bist seit 2018 Bildungsverantwortliche bei Brava. Wie hast du den Weg zur Organisation gefunden?

Fatma: Ich bin seit 2018 Bildungsverantwortliche bei Brava. Auf die Stelle aufmerksam geworden, bin ich über einer Freundin. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es klappt, aber sie hat mich ermutigt und mir mit der Bewerbung geholfen. Es war immer schon mein Wunsch, mit Frauen zu arbeiten.

Du bringst selbst Fluchterfahrung mit. Inwiefern beeinflusst dieser Umstand deinen Blick auf das Thema Gewalt an Frauen und deinen Sensibilisierungsansatz?

Da ich mit dem Flugzeug in die Schweiz gekommen bin, ist meine Fluchterfahrung eher gering. Trotzdem habe ich viele Erfahrungen mit anderen Geflüchteten Frauen in der Schweiz gemeinsam. Viele Frauen müssen flüchten, ohne ihr Fluchtland zu kennen und ohne zu wissen, was sie erwartet. Ich bin damals allein in die Schweiz gekommen, wusste nicht, welche Sprache hier gesprochen wird. Du musst im Asylzentrum leben, bist abhängig, blockiert, kannst dich nicht bewegen. Es erleichtert meine Arbeit natürlich, dass ich diese Erfahrung gemacht habe. Bei einer Flucht lässt du alles hinter dir, gibst alles auf. Die Kompetenzen, die du dir im Heimaltland aneignest, sind hier nicht viel Wert. Du musst bei null anfangen, um dir ein neues Leben aufzubauen. Als geflüchtete Frauen machen wir diese Erfahrungen gemeinsam. Nach meiner Ankunft in der Schweiz spürte ich lange Zeit eine Blockade. Es braucht Zeit, sich neu zu orientieren. Für viele ist Häusliche Gewalt ein grosses Thema. Sie ertragen diese aus Abhängigkeit, z.B. weil der Mann über den Aufenthaltsstatus verfügt, oder weil sie ihre Rechte nicht kennen. Ich versuche zu verstehen, was die Teilnehmerinnen der Workshops erlebt haben und was sie brauchen.

Welchen konkreten Beitrag können die Workshops in Hinblick auf den Umgang mit dem Thema Gewalt an Frauen leisten? 

Wir wollen den Prozess der Normalisierung unterbrechen. Wir sprechen darüber, was Gewalt eigentlich ist und welche Unterstützungsangebote es gibt. Die Frauen lernen, mit Traumatisierungen umzugehen und aus der Passivität herauszufinden. Wir versuchen, mit einer Gruppe mehrere Workshops durchzuführen und ein Vertrauensverhältnis zu den Frauen aufzubauen.  

Worin besteht die grösste Herausforderung an einem Workshop?

Darin, dass es keine gemeinsame sprachliche Basis gibt. Und dass eine spürbare Hierarchie zwischen uns Leiterinnen und den Teilnehmerinnen herrscht. In den Herkunftsländern der Teilnehmerinnen sind staatliche Institutionen meist Autoritätsträger und ihnen ist nicht immer klar, dass wir eine NGO und keine Behörde sind. Auch, dass die Teilnehmerinnen nicht über ihre Gewalterfahrungen sprechen möchten, ist eine Herausforderung.

Brava hat das Projekt «Stimmen geflüchteter Frauen» ins Leben gerufen. Was ist die Idee dahinter?

Die Idee ist schon vor längerer Zeit entstanden. Man spricht oft über Migrantinnen und Geflüchtete, lässt sie aber nie selbst zu Wort kommen. Deshalb hatten wir die Idee, nicht über, sondern mit geflüchteten Frauen zu sprechen. Noch unklar ist bisher die genaue Umsetzung. Wir wollen eine Gruppe von Frauen aus verschiedenen Kantonen aufbauen, die sich regelmässig trifft. Ziel ist es, dass die Frauen Forderungen ausarbeiten, die sie dann direkt an unsere Parlamentarierinnen richten können. Bisher werden die Themen Asyl und Migration immer im negativen Kontext diskutiert. Das wollen wir ändern.