«Den grössten Teil der Arbeit in einer Beratung leisten die Klient_innen.»
Rozë Berisha, Verantwortliche Beratung über restriktive Gesetze, Niederschwelligkeit und die Bewunderung für Ihre Klient_innen
Rozë, du berätst für Brava Menschen, die von Geschlechtsbezogener Gewalt betroffen sind. Mit welchen Anliegen kommen sie zu dir?
Die Anliegen sind natürlich vielfältig. Die Klient_innen kommen wegen Sexualisierter, Häuslicher oder anderen Formen von Geschlechtsbezogener Gewalt zu mir. Ganz häufig sind sie von Mehrfachdiskriminierung betroffen, bspw. wegen gender, race oder Klasse. Oft sind es Frauen, nonbinäre Personen oder trans Menschen, die in die Schweiz geflüchtet sind und im Herkunftsland, auf der Flucht oder in der Schweiz Gewalt erlebt haben. Durch die Mehrfachdiskriminierung gestalten sich die Anliegen komplexer, denn sie beziehen sich auch auf strukturelle und staatliche Formen von Gewalt. Oftmals ist zusätzlich zur Gewalterfahrung auch der Aufenthaltsstatus oder der Asylantrag ein grosses Thema in den Beratungen, da die Aufenthaltssituation viel Stress bei den Betroffenen auslöst und es ihnen verunmöglicht, sich überhaupt mit der erlebten Gewalt auseinanderzusetzen.
Auf welchem Weg kommen diese Anfragen zu dir?
Wir haben eine Beratungstelefon, dort werden Anfragen von Dienstag bis Donnerstagnachmittag entgegengenommen. Weiter melden sich Betroffene per E-Mail oder über unsere Social Media Kanäle bei uns. Manchmal werde ich durch bereits in einen Fall involvierte Fachpersonen wie beispielsweise Anwältinnen kontaktiert. Selten kommen Klient_innen persönlich bei uns in der Geschäftsstelle vorbei.
Wie kann man sich eine Beratung bei Brava vorstellen?
Das Paradebeispiel einer Beratung gibt es nicht, da Menschen und ihre Anliegen sehr unterschiedlich sind.
Beim Erstkontakt mit der Klientin wird sehr schnell klar, ob eine gemeinsame Sprache vorhanden ist. Ist das nicht der Fall und ist die Gefährdung nicht akut, suchen wir gemeinsam einen Gesprächstermin, für welchen ich dann eine Übersetzung organisiere.
Viele Klientinnen haben, wenn sie sich bei uns melden, bereits sehr viele Behördengänge oder Gespräche mit Fachstellen hinter sich. Sie können dann relativ genau sagen, was sie von mir brauchen und mir die Informationen geben, die ich benötige. Dann gibt es aber auch Klientinnen, die sich nach wie vor unsicher sind, ob sie dieses Gespräch mit mir überhaupt führen möchten. Dort braucht es viel Einfühlsamkeit, Geduld und Verständnis. Es ist sehr wichtig, die Klientin nicht zu exponieren. Dennoch muss ich an gewisse Informationen kommen, damit ich weiterhelfen kann.
Wenn ich dann weiss, um was es geht und welche Art von Hilfe erforderlich ist, kommt es häufig vor, dass ich die Klientin weitertriagiere, also an eine Fachstelle verweise, die Expertise im betreffenden Gebiet besitzt. Wenn keine Triage möglich ist, muss ich einschätzen ob ich die benötigte Unterstützung bieten kann. Dabei ist es wichtig mit den Klientinnen zu klären, was möglich ist und was nicht. Ich kann Gutachten schreiben, die bei einem Asylantrag oder einer Beschwerde beigelegt werden können aber ich kann keinen Asylantrag per se positiv beeinflussen, leider. Diesen Rahmen realistisch abzustecken ist aus Transparenzgründen sehr wichtig, nicht zuletzt auch um wiederholte Enttäuschungen zu verhindern.
Gibt es trotz der Verschiedenheit der Fälle Probleme, mit denen du dich immer wieder konfrontiert siehst?
Was ein grosses Problem ist, sind Niederschwelligkeit und Zugänglichkeit von bestehenden Beratungsangeboten zu Geschlechtsbezogener Gewalt. Dabei richtet sich meine Kritik nicht an die Beratungsstellen selbst, sondern an staatliche Strukturen, die die finanziellen Ressourcen nicht zur Verfügung stellen, beispielsweise für mehrsprachige Homepages, Übersetzungsdienste, etc.
Es fällt mir immer wieder auf, wie wenig finanzielle Mittel Fachstellen haben, um beispielsweise auch in die Kommunikation zu investieren und damit ihre Angebote bekannt zu machen.
Auch Gesetzesbestimmungen erschweren unsere Arbeit: Beispielsweise haben in der Schweiz lebende Menschen, die im Ausland Opfer von Geschlechtsbezogener Gewalt wurden, gemäss aktuellem Stand des Opferhilfegesetzes kein Anrecht auf die Angebote der Opferhilfe. 80 Prozent meiner Klient_innen sind von dieser Ausnahme betroffen. Das ist ein gesetzliches Problem, das auf politischer Ebene angegangen werden muss und glücklicherweise aktuell diskutiert wird.
Das restriktive Ausländerinnen- und Migrationsgesetz erschwert meine Arbeit weiter, da es die Situation der Klient_innen viel komplexer macht. Da sie sehr damit beschäftigt sind, einen sicheren Aufenthaltsstatus für sich und ihre Kinder zu erlangen oder beizubehalten, beispielsweise nach einer Trennung von einer gewaltvollen Ehe, können sie ihrem Trauma und der erlebten Gewalt keine Priorität zuordnen.
Was motiviert dich in deiner Arbeit?
Mich motiviert, dass ich jeden Tag wahnsinnig viel von den Klient_innen lernen kann. Sie sind es, die den grössten Teil der Arbeit in einer Beratung leisten. Ich bin immer wieder tief beeindruckt von ihrer Kraft, ihrer Geduld und ihrem Willen weiterzukämpfen.
Was mir auch Motivation gibt, ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, politisch sensiblen Anwält_innen und Solistrukturen wie beispielsweise Asylex oder Inaya. Solange sich die Gesetzeslage nicht ändert, muss die Zusammenarbeit von institutionalisierten Fachstellen, NGOs und Solistrukturen immer weiter gestärkt und gefestigt werden. Denn so können wir viel erreichen. Parallel muss natürlich auf politischer Ebene etwas passieren. Es ist schön zu sehen, dass es auch dort – wenn auch langsam – vorwärts geht.
Was möchtest du sonst noch sagen?
Den Menschen, die sich melden, wird zu wenig Anerkennung entgegengebracht. Es braucht so viel, sich in diesem System einer Beratungsstelle anzuvertrauen. Und sie nehmen eine Vorbildsfunktion ein, die einen unglaublich wichtigen gesellschaftspolitischen Impact hat. Ich möchte, dass sich Menschen einmal vorstellen, was das bedeutet. Ich habe hochachtungsvollen Respekt vor meinen Klient_innen. Ich habe mit unglaublich starken, selbstbewussten, kompetenten, intelligenten, empowernden Menschen zu tun in den Beratungen. Ja diese Menschen wurden oder sind Opfer von Patriarchaler, Sexualisierter, Geschlechtsbezogener Gewalt, aber das ist nicht, was sie ausmacht.