Europarat besucht die Schweiz: Lücken in Bekämpfung von Gewalt müssen geschlossen werden!
Zum ersten Mal überprüfen unabhängige Expert_innen des Europarats (GREVIO) mit einem Besuch in der Schweiz die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Vom 5.-12. Februar trifft sich GREVIO mit Behörden, Fachstellen und NGOs und besucht die Kantone Bern, Luzern und Waadt. Brava und das Netzwerk Istanbul Konvention müssen leider weiterhin berichten, dass massive Lücken in der Bekämpfung von Gewalt und dem Schutz der Opfer bestehen.
Die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen und Häusliche Gewalt gilt seit fast vier Jahren (1. April 2018) in der Schweiz. Bisher sind viele der Verpflichtungen, welche die Schweiz damit eingegangen ist, nicht erfüllt. Die Fachstellen und Organisationen haben in ihrem Alternativbericht im Juni 2021 die Lücken aufgezeigt. Drei Beispiele aus der langen Liste an Lücken:
Beratungsstellen und Schutzunterkünfte müssen Opfer abweisen oder warten lassen
Vielen Beratungsstellen für Opfer, aber auch für Tatpersonen, und den Schutzunterkünften fehlen die Personal- und Infrastrukturressourcen, um alle Betroffenen zu schützen und zeitnah zu unterstützen. Zusätzlich fehlen spezialisierte Angebote in der Beratung und im Schutz. So müssen Opfer abgewiesen oder warten gelassen werden. «Die fehlenden Gelder für Beratungsstellen und Schutzunterkünfte gefährden Menschen in ihrer Sicherheit und Gesundheit», hält Simone Eggler von Brava (ehemals TERRE DES FEMMES Schweiz) und Co-Koordinatorin des Netzwerks Istanbul Konvention fest.
Gewaltopfer sind gezwungen, in Ehe zu verbleiben
Aufgrund der heutigen Regelung im Ausländer- und Integrationsgesetz AIG Art. 50 und deren Umsetzung durch die Kantone, können sich Opfer trotz Gewalt in der Ehe oft nicht scheiden lassen. Dies, weil ihr Aufenthalt in der Schweiz vom sogenannten Verbleib beim Ehepartner abhängt und sie (und ggf. auch ihre Kinder) die Schweiz bei einer Scheidung verlassen müssten. Die Schweiz hat in der Istanbul-Konvention einen Vorbehalt gemacht, weil sie hier die Verpflichtung nicht erfüllt. Dieser Vorbehalt muss jedoch nach fünf Jahren, also spätestens 2023 aufgehoben und der Schutz garantiert werden!
Krisenzentren fehlen in meisten Regionen
Die Istanbul-Konvention verpflichtet zu Krisenzentren bei Gewalt, wo Opfer spezialisierte medizinische und psychologische Erstversorgung finden und eine professionelle Spurensicherung ohne Druck zur Anzeige vornehmen lassen können. Gute Beispiele solcher Zentren sind in Bern (Berner Modell) und Waadt (CHUV) zu finden – doch in der Mehrheit der Regionen fehlen solche Zentren. So werden die Opfer zu Anzeigen gedrängt, müssen in Gängen warten oder die Spurensicherung wird nicht durch das Institut für Rechtsmedizin durchgeführt. «Die fehlenden Krisenzentren in vielen Regionen führen zu falschem Umgang und (Re-)Traumatisierungen der Opfer und wirken sich negativ auf die Strafverfolgung aus», betont Simone Eggler.
Netzwerk Istanbul Konvention
Das Netzwerk Istanbul Konvention vereint fast 100 Fachstellen und NGOs aus den Bereichen Gewalt, Gleichstellung, Behinderung, Asyl/Migration, LGBTIQA+, Menschenrechte, Alter, Kinder zum Thema Gewalt.
Kontakt
Simone Eggler
Verantwortliche_ Politik bei Brava (ehemals TERRE DES FEMMES Schweiz) und Co-Koordination Netzwerk Istanbul Konvention
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